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Digitale Zwillinge als Erfolgsfaktor im Maschinen- und Anlagenbau

Viele Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen stehen heute vor der Entscheidung, die virtuelle Inbetriebnahme und eine damit verbundene Softwarelösung im Workflow zu etablieren. Dabei stellt sich ihnen zwangsläufig die Frage, ob dieses Vorhaben den Erfolg und Nutzen bringt, den sie sich versprechen.

So ging es auch der F.EE-Unternehmensgruppe aus dem oberpfälzischen Neunburg vorm Wald, die mit derzeit rund 1.100 Mitarbeitenden zu den deutschen Marktführern in der Fertigungs- und Automatisierungstechnik zählt. Das Unternehmen nutzt seine mehr als 40-jährige Erfahrung für die Entwicklung individuell an die Anforderungen der Kunden angepasster Produkte und Dienstleistungen in den Bereichen Automatisierungstechnik, Robotik, Schaltschrankbau, Informatik und Industriesoftware.

Probleme bei realer Inbetriebnahme erforderten Reaktion

„Als Spezialist für Automatisierungstechnik beschäftigen wir uns seit rund zwanzig Jahren mit dem Thema SPS-Simulation und damit, den Prozess der Inbetriebnahme fortlaufend zu optimieren“, erklärt Franz Weinzierl, technischer Geschäftsführer der F.EE GmbH. Auf dem herkömmlichen Weg – also vor Einführung der virtuellen Inbetriebnahme – musste in kurzer Zeit eine nur wenig getestete SPS-Software in Betrieb genommen werden. Und das mit der Herausforderung, dass vor Ort zum Teil umfassendere Programmanpassungen durchzuführen waren. „Es blieben Softwarefehler bis in späte Projektphasen unerkannt, die unter hohem kosten- und zeitintensiven Aufwand, auch bei schon in Produktion befindlichen Anlagen, beseitigt werden mussten. Diese Umstände waren für uns – sowohl aus Kosten- und Effizienzgründen als auch im Sinne der Kundenzufriedenheit – zwingend verbesserungswürdig“, erläutert Weinzierl. Das Ziel lautete deshalb, Möglichkeiten zum Absichern der Steuerungssoftware sowie zum risikofreien Testen kritischer Betriebszustände und komplexer Abläufe bereits in einer frühen Projektphase zu schaffen. Gleichzeitig sollten Steuer- und Regelstrategien schon in der Engineering-Phase validiert und optimiert werden können – einerseits zugunsten einer verkürzten Inbetriebnahmezeit, andererseits, um die personellen Ressourcen vor Ort zu reduzieren. Die Lösung: die virtuelle Inbetriebnahme mithilfe des digitalen Zwillings.

Hohe Anforderungen an das Simulationstool

Im ersten Schritt wurden die Anforderungen an eine Simulationssoftware für den Maschinen- und Anlagenbau praxisbezogen definiert. „Ein wichtiges Kriterium war hier die Übereinstimmung von virtuellem und realem Modell. Je nach Kunden- oder Projektanforderung muss sowohl eine sehr idealisierte als auch detaillierte Anlagensimulation realisierbar sein“, erklärt Weinzierl. Eine offene und leistungsfähige Softwarearchitektur und Programmiersprache stellt die Grundlage dar, um große wie auch komplexe Anlagen mit einer Vielzahl von speicherprogrammierbaren Steuerungen (SPSen) in nur einer Simulationsumgebung abbilden zu können, ohne dass sich dabei die Hardware-Anforderungen oberhalb von handelsüblichen PCs bewegen. Auch die „Multi-User-Fähigkeit“, die das gleichzeitige Arbeiten mehrerer Benutzer an einer Simulation möglich macht, muss gewährleistet sein. Am Ende der intensiven ersten Phase und der anschließenden Marktanalyse war klar: Der Automatisierungsspezialist F.EE entwickelt eine eigene Softwarelösung für Simulation und virtuelle Inbetriebnahme. Der Name „fe.screen-sim“ war sehr naheliegend, da im Hause F.EE bereits die „Software for INDUSTRY“-Produktreihe mit der Bezeichnung „fe.screen“ existierte.

Erstes Projekt brachte bereits den Durchbruch

Im Jahr 2014 war es dann so weit: Das entwickelte Simulationstool konnte sein Können erstmals im Rahmen eines Pilotprojektes unter Beweis stellen. F.EE erhielt den Auftrag eines Automobilherstellers für die Integration einer Elektrohängebahn mit circa 500 Transport- und 250 Montagefahrzeugen. Die gesamte Anlage inklusive acht SPSen wurde bei F.EE simuliert. So konnten in Zusammenarbeit mit dem Kunden alle Fahr- und Sonderfahrweisen, Speicher- sowie Ein- und Ausschleuse-Logiken im Vorfeld getestet werden. „Die reale Inbetriebnahme lief absolut problemlos, wir konnten einen 100-prozentigen Produktionsstart hinlegen und nach rund einer Woche bereits mit dem Verfügbarkeitstest beginnen“, erläutert Franz Weinzierl den durchschlagenden Erfolg des Projektes.

Frühzeitiges Einbinden aller Beteiligten

Nach und nach wurden F.EE-intern die für die virtuelle Inbetriebnahme erforderlichen Strukturen samt Prozessen etabliert und so die Effizienz schrittweise erhöht. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die frühestmögliche Einbindung des Kunden und aller Engineering-Beteiligten – also auch der Mechanik und Elektrokonstruktion – in den Workflow der virtuellen Inbetriebnahme, ein wesentlicher Erfolgsfaktor für deren Einführung und fortlaufende Etablierung im Unternehmen ist. Je früher alle Beteiligten einen gemeinsamen Prozess definieren, desto effektiver kann dieser am Ende auch realisiert werden“, stellt Weinzierl heraus.

Kundenwünsche erfordern Flexibilität

Verantwortlich für die Erstellung der digitalen Zwillinge bei F.EE sind Mitarbeitende mit einem Grundverständnis für Anlagenfunktionalität und SPS-Programmierung – sogenannte „virtuelle Mechaniker*innen“. Die Art der Modellerstellung wird projektspezifisch vom Kunden und den zur Verfügung gestellten Informationen bestimmt. „Idealerweise erhalten wir 3D-Daten aus den Engineering-Tools. Über eine direkte TCP-Verbindung mit „fe.screen-sim“ können alle Daten und Informationen digital übernommen werden. Dabei ist die Möglichkeit des bidirektionalen Datenaustausches – also die Rückübertragung der im Simulationstool ausgeführten Änderungen in die CAD-Software – essenziell“, erklärt Weinzierl. Die Produktflexibilität von „fe.screen-sim“ gewährleistet auch, dass lediglich idealisierte Modelle erstellt werden können, falls nur eine Simulation der Signale gefordert ist.

Optimierung im Fokus

Auch nach der erfolgreichen Implementierung der virtuellen Inbetriebnahme steht bei F.EE die weitere Prozessoptimierung im Mittelpunkt, wobei die gesammelten Praxiserfahrungen fortlaufend in die Weiterentwicklung des Simulationstools „fe.screen-sim“ einfließen. Verbesserungspotenzial sieht das Unternehmen unter anderem bei der Verfügbarkeit von Verhaltensmodellen, mit denen die Eigenschaften einer realen Komponente in bestimmten Teilbereichen nachgebildet werden. Hier wäre es laut Weinzierl wünschenswert, wenn alle Hersteller neben den physischen Komponenten auch ein hinsichtlich des Idealisierungsgrades konfigurierbares digitales Modell zur Verfügung stellen.

Virtuelle Inbetriebnahme als Erfolgsfaktor

Die Vorteile einer virtuellen Inbetriebnahme für den Maschinen- und Anlagenbau sind eindeutig und klar erkennbar. „Besonders die Möglichkeit, mit Hilfe des digitalen Zwillings bereits in einer frühen Projektphase unter Einbeziehung aller Projektbeteiligten Machbarkeitsanalysen durchführen und die SPS-Software inklusive Notfall-, Ein- und Auslagerstrategien komplett testen zu können, erhöht die Effizienz erheblich“, lautet das Resümee des technischen Geschäftsführers von F.EE. Darüber hinaus sei der digitale Zwilling mittels VR-Technologie auch für Schulungs- und Einarbeitungszwecke nutzbar und die Multi-User-Fähigkeit stelle insbesondere im Sondermaschinenbau oder bei sehr komplexen Anlagen einen erheblichen Vorteil dar. Von den Vorteilen der virtuellen Inbetriebnahme konnte F.EE auch während der Corona-Pandemie profitieren, als die Einsätze an globalen Kundenstandorten durch Reisebeschränkungen erschwert wurden. „Wir haben für einen in China ansässigen Kunden ein Anlagenmodell zur Taktzeitoptimierung erstellt und virtuell in Betrieb genommen. Schlussendlich war es ausreichend, nur das optimierte und abgesicherte SPS-Programm an den Anlagenbetreiber zu senden. F.EE-Mitarbeitende mussten nicht vor Ort sein.“ Das Fazit des Automatisierungsspezialisten fällt absolut positiv aus: Die Softwarequalität zur Auslieferung wurde durch den Einsatz digitaler Zwillinge signifikant verbessert. Dadurch entfielen kosten- und zeitaufwändige Tests an der realen Anlage sowie Bugfixing- und Nacharbeitsmaßnahmen.

 

 

„Bei uns wird kein Projekt mehr ohne virtuelle Inbetriebnahme umgesetzt.“

Interview mit Franz Weinzierl, dem technischen Geschäftsführer der F.EE GmbH.

Technischer Geschäftsführer der F.EE GmbH Franz Weinzierl

Was waren die Gründe für Ihre Entscheidung, eine eigene Simulationssoftware zu entwickeln?

Weinzierl: Im Rahmen der Marktanalyse stellte sich heraus, dass keines der verfügbaren Simulationstools unsere hohen Anforderungen hinsichtlich Funktionalität und Praxisbezug ausreichend erfüllen konnte. Deshalb entschieden wir uns für die Entwicklung einer eigenen Softwarelösung, was sich als absolut richtig und mittlerweile als Glücksfall erwiesen hat. Denn wir sind heute für unsere Kunden in allen Bereichen der virtuellen Inbetriebnahme ein kompetenter Ansprechpartner. F.EE setzt je nach Anforderung Simulationslösungen verschiedenster Anbieter ein, wodurch sich unsere Mitarbeitenden im Laufe der Jahre umfangreiches Anwender-Know-how aneignen konnten. Gleichzeitig haben wir mit „fe.screen-sim“ ein performantes Simulationstool auf dem Markt etablieren können, welches kontinuierlich und sehr praxisorientiert weiterentwickelt wird. Da wir selbst den Prozess der Einführung der virtuellen Inbetriebnahme im Unternehmen durchlaufen haben, kennen wir die Herausforderungen und geben die gesammelten Erfahrungen an unsere Kunden weiter.

Wie sieht die Softwarelösung bei Ihnen im Detail aus?

Weinzierl: Der modulare Aufbau von „fe.screen-sim“ garantiert uns größtmögliche Flexibilität. Vorrangig arbeiten wir mit den Modulen „CAD Importer“, „Logic Creator“ (in FUB und C#) und „Interaction“. Je nach Kundenprojekt kommen zusätzlich die Module „EHB“ sowie „VR“ zum Einsatz. Außerdem nutzen wir die entsprechenden Schnittstellen zur Anbindung von Robotern und SPS-Steuerungen unterschiedlichster Hersteller.

Mit welchen Herausforderungen waren Sie während des Einführungsprozesses konfrontiert?

Weinzierl: Zu Beginn standen unsere Mitarbeitenden der neuen Softwarelösung etwas skeptisch gegenüber – auch im Hinblick auf die Mehrarbeit in der Prototypenphase. In der ersten Zeit war der Arbeitsaufwand im Vergleich zur realen Inbetriebnahme tatsächlich etwas höher. Die Akzeptanz war jedoch schon nach den ersten Projekten sehr hoch, da die Vorteile der virtuellen Inbetriebnahme bereits klar überwogen.

Welches mitarbeiterbezogene Fazit ziehen Sie für die virtuelle Inbetriebnahme bei F.EE?

Weinzierl: Für unsere Mitarbeitenden ist die virtuelle Inbetriebnahme mittlerweile ein absolut notwendiger Prozess innerhalb unserer Toolchain und trägt in hohem Maß zur Qualitätssicherung im Unternehmen bei. Mit Hilfe des digitalen Zwillings nehmen wir heute Anlagen innerhalb von fünf Tagen vor Ort in Betrieb, für die wir früher drei Wochen gebraucht haben. Durch die kürzeren Baustellenaufenthalte konnten wir die Mitarbeiterzufriedenheit steigern, das Stresslevel senken und die Projektkosten verringern. Auch deshalb wird bei F.EE kein Projekt mehr ohne vorherige virtuelle Inbetriebnahme umgesetzt.

 

Den gesamten Artikel können Sie auch in der Online-Ausgabe der „IT&Production" nachlesen.

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Werner Pospiech, Vertrieb fe.screen