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Basis für den digitalen Zwilling – Modellerstellung zur virtuellen Inbetriebnahme

Bei der virtuellen Inbetriebnahme (VIBN) wird das Verhalten einer geplanten Maschine oder Anlage anhand eines digitalen Zwillings simuliert. An die Erstellung des dafür benötigten virtuellen Modells werden in erster Linie folgende Anforderungen geknüpft: Sie darf weder komplex noch zeitaufwendig sein und es sollen bestehende Datenquellen für eine möglichst automatisierte Generierung genutzt werden können. Der Einsatz einer Simulationssoftware bietet viel Raum für direkte und schnelle Effizienzverbesserungen.

Virtuelle_Inbetriebnahme_Titelfoto_F.EE

Generell zeichnet sich ein Trend der stetig komplexer werdenden Funktionsabläufe im Maschinen- und Anlagenbau ab. Das virtuelle Testen und Optimieren der gesamten Steuerungssoftware – sei es für SPS, Robotik oder Leitsteuerung – im Vorfeld einer Inbetriebnahme ist von großer Bedeutung. Das Ziel einer VIBN ist das frühe Feststellen und Beheben von Fehlern sowie das Absichern des Zusammenspiels von Anlagenmechanik und Steuerungssoftware. Dabei löst sich dieser Prozess von den sequentiell geprägten Workflows der meisten Engineering-Organisationen und verändert sich zu einer parallelen Bearbeitung, um Bearbeitungszeiten und Kosten zu sparen.

Abstraktion und Modelltiefe

Die VIBN basiert auf der Verwendung von Simulationsmodellen, die das reale Verhalten der Anlage abstrahieren, um möglichst realitätsnahe Ergebnisse zu liefern. Die Wahl der Modellierungstiefe ist von der zu simulierenden Anlage abhängig und muss in einer weitläufigen Intralogistik-Anlage mit 1.000 Antrieben zwangsläufig eine andere sein, als bei einer Bearbeitungsmaschine mit komplexen mechanischen Baugruppen, einer hohen Dichte an Sensorik und Aktorik sowie parallelen, kleinteiligen Bearbeitungsschritten. Dabei hat die Modellierungstiefe keinen Einfluss auf die Anbindung des Modells an die Steuerung über Software in the Loop (SIL) oder Hardware in the Loop (HIL). Ein hoher Detaillierungsgrad erhöht den Aufwand der Modellerstellung, weshalb man beim Aufbau des Modells der Leitlinie folgen sollte: „So genau wie nötig, so idealisiert wie möglich“. Eine VIBN wird die reale Inbetriebnahme nicht ersetzen können, da es nach wie vor Tätigkeiten gibt, deren Durchführung nur an der realen Anlage möglich ist. Aber eine VIBN sichert das Engineering und die Programmierung ab, verkürzt die Projektzeit, reduziert die Inbetriebnahmekosten, erreicht eine höhere Anlagenverfügbarkeit im gesamten Inbetriebnahmeprozess und trägt entscheidend zu dessen Vereinfachung bei.

Das Gerüst der Modellbildung

In der Regel bilden die Daten aus der Mechanik-Konstruktion die Basis für den Modellaufbau. Je nach Engineering-Prozess stehen Daten in verschiedenen Applikationen und unterschiedlicher Qualität zur Verfügung. Sind brauchbare CAD-Daten erst in einer fortgeschrittenen Engineering-Phase verfügbar, ist es wichtig, mit idealisierten Modellen arbeiten zu können, um trotzdem einen frühzeitigen Start der Softwareentwicklung zu gewährleisten. Zudem sollte die Möglichkeit zur Nutzung anderer Datenquellen – wie Excel, Datenbanken, Visio-Layouts – als Basis für die Modellerstellung bestehen, um früh ein belastbares Modell zu erhalten. Oberstes Ziel muss die möglichst automatisierte Erstellung des Anlagenmodells aus den vorhandenen Daten sein. Dabei hilft es enorm, wenn sich die eingesetzte Simulationslösung gut an die Datenstrukturen eines Unternehmens anpassen lässt und offene Schnittstellen bietet. Hier gibt es Lösungen, die über eine Programmierschnittstelle (Application Programming Interface, kurz API) verfügen, welche eine automatische Erstellung des Modells ermöglicht. Mittels eingebetteten Makros im Quellsystem (CAD, Excel, Visio etc.) werden dabei alle Elemente analysiert und mit den verfügbaren Informationen über die API an die Simulation übergeben. Werden Daten im Simulationsmodell geändert, können diese über die gleiche Schnittstelle auch bidirektional in das Quellsystem zurückübertragen werden.    

Laufen lernen mit Verhaltensmodellen

Das Verhaltensmodell hat die Aufgabe, das logische und zeitliche Verhalten der realen Betriebsmittel gegenüber den angeschlossenen Steuerungen zu simulieren. Die Modelle bestehen in erster Linie aus einzelnen Simulationsbausteinen der in der realen Anlage verwendeten Betriebsmittel – wie Antrieben, Ventilinseln und Lesegeräten. Am besten ist es, wenn die Simulationslösung eine eigene, veränderbare Bibliothek mit Bausteinen beinhaltet und zusätzlich die Möglichkeit zur Erstellung eigener Verhaltensmodelle bietet. Dies beginnt bei einfachen Scripts, in denen State Machines für einfache E/A-Logiken realisiert werden, bis hin zur Möglichkeit, eigene Dynamic Link Libraries (DLL) zu entwickeln, welche nicht nur eine Funktionalität, sondern auch komplette User-Interfaces beinhalten. Häufig bieten Softwarehersteller die Modellerstellung auch als Dienstleistung an. Wünschenswert wäre zudem, dass die Hersteller der Automatisierungskomponenten Verhaltensmodelle zur Verfügung stellen, welche direkt in der Simulationslösung eingebettet werden können. Hier gibt es bereits Hersteller, die z. B. Verhaltensmodelle für Antriebe oder Greifersysteme zur Integration in die Simulationsplattform bereitstellen. Existieren in einer bereits vorhandenen Simulationslösung Bibliotheken von Verhaltensmodellen, ist es vorteilhaft, wenn diese auch in anderen Simulationsumgebungen in Form einer Co-Simulation genutzt werden können.

Verknüpfung des Modells mit SPS, Subsystemen und Peripherie

Die Anbieter von Simulationssoftware gehen bei der Kopplung der VIBN-Applikationen mit den Steuerungs- und Subsystemen sowie der Peripherie – etwa als HIL oder SIL – unterschiedliche Wege. Dies ist zum einen von der zu erwartenden Performance abhängig: Während der Signalaustausch mit einem Simulationsmodell im Bereich von 10 bis 20 ms in der Logistik möglicherweise ausreichend ist, kann 1 ms bei einer NC-Maschine noch zu langsam sein. Zum anderen muss berücksichtigt werden, wie die Einbindung der Peripherie in die Simulationsumgebung erfolgen soll. Eine Kommunikation zu den Systemen kann auf Basis einer nativen Anbindung – z. B. über Ethernet auf Basis von TCP/IP – stattfinden, aber auch über offene Kommunikationsstandards, wie OPC UA. Um die Datenübertragung über Ethernet echtzeitfähig zu machen, wird von SPS-Herstellern aktuell OPC UA over TSN in Pilotprojekten umgesetzt, wodurch Zykluszeiten von weniger als 1 ms möglich werden. Eine flexible Anbindung an Kommunikationsschnittstellen spielt somit eine große Rolle in zukünftigen Systemumgebungen. Für die Simulation und Anbindung von Feldbusgeräten stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Es gibt Kommunikationsboxen, die Feldbusteilnehmer simulieren, so dass diese inklusive Safety-Signalen für die SPS verfügbar sind. Dabei erfolgt die Simulation so realitätsgetreu, dass sich für die SPS kein Unterschied zwischen den simulierten und realen Geräten ergibt und die simulierte Software ohne Korrekturen oder Anpassungen direkt bei der realen Inbetriebnahme verwendet werden kann. 

Funktionstest vor dem Start

Im Laufe eines Engineering-Prozesses kann die Detaillierung eines digitalen Modells weiter verbessert und mit zusätzlichen Daten, welche oft erst späteren Projektphasen zur Verfügung stehen, verfeinert werden. Es können auch Daten oder Konzepte, die sich während der Engineering-Phase verändern, flexibel und ohne Neuaufbau auf das Modell übertragen werden. Sind alle gewünschten Informationen in das Modell eingebunden, steht ein letzter Testlauf an. Dazu prüfen SPS- und Roboterprogrammierer final alle virtuellen Ein-/Ausgänge und auch die einzelnen Funktionen werden noch einmal manuell aufgerufen. Erfüllt der Testlauf die Erwartungen, kann die VIBN beginnen. Ziel ist es dabei, die Abläufe und Funktionen der Anlage am digitalen Zwilling zu testen ohne sich dabei in Details zu verlieren, die ohnehin an der realen Anlage geprüft werden müssen. Das erstellte Modell dient im Übrigen nicht nur der VIBN, sondern kann später auch für Optimierungs-, Umbau- oder Schulungszwecke verwendet werden.

Autor: Werner Pospiech, Vertriebsleiter Industriesoftware (fe.screen-sim) bei der F.EE GmbH


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